Macht eine IT der zwei Geschwindigkeiten Sinn?

Grundsätzlich weist der digitale Wandel zwei Entwicklungsrichtungen auf: Einerseits die Digitalisierung der Unternehmensabläufe, um ihnen durch die Eliminierung von Papierdokumenten und Medienbrüchen einen höheren Automatisierungsgrad und eine verbesserte Integrationsfähigkeit für End-to-end-Prozesse zu verleihen. Hier zeigen sich die Digitalisierungseffekte insbesondere durch Effizienz- und Flexibilitätsvorteile in Verbindung mit einer Verringerung der Prozesskosten.

Die zweite Dimension zielt auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle mittels digitaler Technologien ab. In immer stärkerem Maß werden beispielsweise App-basierte Geschäftsideen im Markt platziert, die wie etwa im Fall der Taxi-Alternative Uber zur bedrohenden Konkurrenz für klassische Angebote werden können oder ganz neue Services anbieten. Zu den digital basierten Services gehören beispielsweise Lieferdienste für Lebensmittel und andere Consumerprodukte. 

Die Idee der bimodalen IT bzw. Two-Speed-IT: Vor diesem Hintergrund der beiden Digitalisierungsdimensionen stellt sich die Frage, welche Konsequenzen daraus für die IT-Organisationen abzuleiten sind. Oder gehörten Digitalisierungsthemen nicht schon lange zum täglichen Brot der IT? 

Sie hat eine intensive Diskussion gerade auch unter den führenden Marktforschungsunternehmen ausgelöst. So wurden mit Begriffen wie „Two-Speed-IT“ und „Bimodale IT“ strategische Ansätze formuliert, denen zufolge sich die IT-Organisationen zukünftig teilen sollen: Auf der einen Seite zuständig für die historisch gewachsenen Systeme, auf der anderen eine agile und durchaus auch etwas experimentelle IT mit Startup-Mentalität für die digitalen Projekte. 

Der Grund für die empfohlene Trennung: Den digitalen Geschäftsideen eröffnet sich nur dann eine Erfolgsspur, wenn sie ideenreich und schnell auf den Markt gebracht werden. Bei den klassischen IT-Aufgaben stehen hingegen Solidität und Verlässlichkeit mit entsprechenden Prozesse, Methoden und Prinzipien im Vordergrund. Dies zeigt sich auch in den jeweiligen Kompetenzprofilen: Auf der einen Seite sind es die herkömmlichen SAP- und Infrastruktur-Spezialisten für die gewachsene und bewährte IT. In der anderen Gruppe sind hingegen IT-Mitarbeiter beschäftigt, die sich durch besonderes Wissen in den modernen digitalen Technologien charakterisieren und mit deren schneller Veränderung umzugehen wissen. 

Diese Unterscheidung klingt in der theoretischen Betrachtung durchaus logisch, doch verbirgt sich hinter einer zweigeteilten IT tatsächlich ein praxistaugliches Modell oder erzeugt es einen nur schwer zu bewältigen Spagat?

An der Integration geht meist kein Weg vorbei: Fest steht immerhin: Eine IT-Teilorganisation für digitale Projekte kann wohl kaum vollständig autark sein. Denn spätestens wenn eine digitale Lösung in den Praxisbetrieb geht, können vielfältige Schnittstellen zur Infrastruktur-orientierten IT entstehen. Zwar ist auch denkbar, dass der Betrieb autark über Cloud-Dienste realisiert wird und die internen technischen Ressourcen dadurch nicht in Anspruch genommen werden müssen. Doch andererseits sind Stand-alone-Anwendungen inzwischen immer mehr die Ausnahme, weil sie meist nicht ohne Stammdaten und Kundeninformationen auskommen, also eine Integration in andere Business-Applikationen notwendig ist. 

Bestes Beispiel dafür ist die starke Verbreitung von E-Commerce, weil die heutigen digitalen Technologien es praktisch allen Unternehmen relativ einfach machen, einen elektronischen Vertriebskanal zu implementieren. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts haben im letzten Jahr 47 Millionen Menschen über das Internet gekauft. Doch wenn Online-Shops zum Einsatz kommen, ist deren Integration mit den Applikationen für die Rechnungs- und Bezahlprozesse, die Materialwirtschaft und mehr erforderlich, damit vollständig digitale und automatisierte Abläufe möglich sind. Und wenn die ERP-Funktionen dabei zum Einsatz kommen, ist auch zwangsläufig die klassische IT gefragt.

Handlungsbedarf auch ohne Two-Speed-IT: Insofern ist die Frage kaum grundsätzlich zu beantworten, ob eine Zweiteilung der IT-Organisation einen praktikablen und zukunftsträchtigen Ansatz darstellen kann. Zumal eine solche Struktur zunächst einmal eine belastende und kostenaufwändige Reorganisation erforderlich macht, bevor sie überhaupt einen Mehrwert erzeugen kann. 

Dies ändert allerdings nichts daran, dass sich die IT-Organisationen trotzdem den Herausforderungen der digitalen Transformation stellen müssen. Dazu gehört insbesondere, die Liefergeschwindigkeit der gewachsenen IT zu beschleunigen und den Business-Bereichen eine aktive und methodisch überzeugende Unterstützung zur Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse zukommen zu lassen. Denn eines scheint klar zu sein: Die IT-Organisationen werden sich flexibler, mit einem höheren Automatisierungsgrad sowie kunden- und serviceorientierter als bisher aufstellen müssen. Schließlich verlangen digitale Prozesse und Geschäftsmodelle seitens der IT-Services sowohl eine hohe Qualität als auch einen hohen Grad an Verfügbarkeit. Hierfür die entsprechenden Leistungsstrukturen als stabile Basis für die zukünftigen Anforderungen zu etablieren, ist das Gebot der Stunde. In anderen Worten: Die IT-Serviceorganisation fit für den digitalen Wandel machen.

 

Autor: Patrick Schiavone

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