Owning ITIL

ITIL® hat einen gemischten Ruf. Manche seiner Verfechter halten die Methode für einen heiligen Gral. Seine Kritiker sehen sie eher als bürokratisches Teufelszeug./1/ Die Wahrheit liegt nicht dazwischen, sondern beide Ansichten sind schlichtweg falsch. Der Grund dafür liegt bei beiden Sichten im Kern der Dinge: Wir stehen ITIL mit falschen Erwartungen gegenüber. Denn, um aus ITIL das Bestmögliche herauszuholen, müssen wir ITIL zu unserem Eigentum machen.

 

ITIL nennt sich eine „best practice“ Methode bzw. eine Sammlung davon. In den offiziellen ITIL Büchern werden aus unterschiedlichsten Fachgebieten der IT – aus Störungsbehebung, aus Vertragsmanagement oder aus Kapazitätsplanung – Empfehlungen und Hinweise ausgearbeitet, wie wir Probleme lösen und die Arbeit effizienter strukturieren können. Die Aussage „diese Sammlung enthält best practices“ suggeriert dem Kunden, dass man hier mit Sicherheit den richtigen Weg findet./2/

 

ITIL ist auch ein de facto-Standard geworden. Diese Entwicklung hat über viele Jahre stattgefunden, da es zur Abdeckung der IT Service Organisation keine wirkliche Alternative zu ITIL gibt. Hinzu kommt das ITIL Zertifizierungsmodell, welches ein einheitliches und organisiertes Kompetenzniveau bei einzelnen Personen gewährleistet.

 

Aus diesen Vorstellungen entwickeln sich falsche Erwartungen, nämlich, dass ITIL eine Art Rezept- oder Lösungshandbuch sei. Ich möchte gar nicht bewerten, ob ITIL richtig oder falsch ausgerichtet ist, diese Erwartungen zu erfüllen (geschweige denn, ob ITIL generell richtig oder falsch liegt). Aber dieses in der Öffentlichkeit weit verbreitete Bild von ITIL stört mich, und ich verstehe jetzt warum.

 

Die Frage zu diesem Bild heißt üblicherweise: „Wie kann ITIL meine Probleme lösen?“ Die Frage muss aber lauten: „Wie kann ich meine Probleme mit Hilfe von ITIL selber lösen?“ Oder, um den schönen Satz von John F. Kennedy etwas umzubiegen: „Fragen Sie nicht was ITIL für Sie machen kann, sondern was Sie mit ITL machen können.“

 

Der Begriff „Eigentümerschaft“ drückt diesen Gedanken sehr gut aus. Ein Eigentümer besitzt etwas. Es gehört ihm, und er ist der Herr oder die Herrin dieser Sache und kann damit tun und lassen, was er/sie möchte. Wenn ich z.B. ein Fahrrad besitze, kann ich schöne Touren machen oder schneller zu Arbeit kommen. Ich könnte es auch verkaufen und mir mit dem Ertrag etwas anderes gönnen. Dieser Erfahrungsschatz und neue Ideen ermöglichen mir unzählige Varianten im Umgang mit meinem Eigentum – Sie „empowern“ mich.

 

ITIL ist ebenfalls ein solcher Erfahrungsschatz an Ideen oder Hinweisen, den ich mir aneignen kann. Wenn ich diesen beherrsche, bestimme ich was ich damit mache kann. Und dabei kann mich keiner zwingen, meine Organisation exakt nach den ITIL Büchern aufzusetzen. Sehr erfrischend an dieser Stelle ist z.B. die Arbeit von Gene Kim et al. und das „Visible Ops“-Team./3/ Sie haben auf Basis von ITIL ein agiles Rahmenwerk entwickelt, das effiziente Umsetzungsmöglichkeiten für ITIL aufzeigt. (Und sie haben es nie für nötig gehalten, ITIL als „dumm“ zu bezeichnen.)

 

Wenn ich Eigentümer des ITIL Erfahrungsschatzes werden möchte, muss ich aber das Steuer selbst in die Hand nehmen. Es geht letztendlich um meine Arbeit und um die Organisation zu der ich gehöre. Wie wollen wir uns strukturieren? Wo wollen wir hin? Wie können wir unseren Weg mit den abgebildeten „best practices“ verkürzen? Wie können wir uns damit stärken?

 

Nehmen Sie also ITIL selbst in die Hand. Sie bekommen damit bessere Ergebnisse und haben mehr Spaß dabei.

 

Autor: Dr. James M. Lee

 

/1/ Der „ITIL Skeptic“ (http://www.itskeptic.org/itil) ist einer der bekannteren Stimmen hierzu.

/2/ Deshalb mit der s.g. ITIL v3 gab es in den Büchern und innerhalb der ITIL-Community große Diskussion über Best vs. Good practices. Der aktuelle Autor hat selber 2007-2008 mehrere Vorträge mit dem ITIL „Können Best Practices besser werden?“ gehalten.

/3/ http://www.amazon.com/Visible-Ops-Handbook-Implementing-Practical/dp/0975568612; http://www.teamworkblog.de/2013/02/was-ist-agile-rechenzentrumsorganisatio.html; http://www.amazon.de/The-Phoenix-Project-Business-ebook/dp/B00AZRBLHO/

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Wendel Josef (Montag, 03 Juni 2013 18:10)

    Ja ja, wenn ich schon Fahradfahren kann, ist ja alles prima. Dann fahre ich ein Mountainbike genauso wie ein Rennrad. Und wähle das richtige Rad für die den richtigen Zweck aus. Und manchmal laufe ich auch, weil es fürs Radel zu steil ist.
    Aber wie beantworte ich als „Noch-Nicht-Radfahrer“ die Frage, welches Fahrrad für welchen Einsatzzweck das Richtige ist? Ich halte mich an (notwendigerweise abstrakte) Empfehlungen, z.B. wenn die Strecke asphaltiert ist und die Steigung <20% und die zu transportierende Last in einen Rucksack passt, nimmt das Rennrad.

    Wer nichts weiß hält alles für möglich. Genau dann brauche ich (auch) ITIL good oder best practises.

    Aber ansonsten, völlig einverstanden.

  • #2

    James Lee (Dienstag, 04 Juni 2013 14:11)

    Herr Wendel unterstreicht einen wichtigen Punkt: für die eher Unerfahrene liefert ITIL eine Orientierungshilfe. Damit vermeide ich das Rad neuerfinden zu müssen.

    Für Erfahrene kann es dann als Spiegel verwendet werden, um meine Prozesse unter die Lupe zu setzen.

    Und ITIL anzuwenden bzw. nach ITIL zu optimieren ist selber ein "Aneignungsprozess". Allerdings, wenn wir einmal das ITIL-Radeln gelernt habe, werde ich es nicht schnell wieder vergessen.

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